Zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Konzept
Als die Regierung von Wuhan am 31.12.19 den Ausbruch einer neuen Lungenkrankheit bekanntgab, konnte niemand ahnen, dass die Welt mit COVID-19 vor der schlimmsten Pandemie seit Menschengedenken stand.
Dennoch initiierte die Firma Biontech in Mainz bereits 14 Tage später das Projekt
„Lightspeed“ mit dem Ziel, schnellstmöglich einen wirksamen und verträglichen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. 11 Monate danach war der Biontech-Impfstoff als weltweit erstes Corona-Vakzin in Großbritannien, den USA und Europa zugelassen - normalerweise rechnet man für Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen mit 8 - 10 Jahren.
So wurde in kürzester Zeit aus einem Biotechnologie-Startup mit gut 100 Mio. € Umsatz und einem Verlust in fast doppelter Höhe ein hochprofitables Milliardenunternehmen.
Dass der Erfolg von Biontech ganz wesentlich mit den Gründern Ugur Sahin und Özlem Türeci zu tun hat, ist unbestritten und beide werden mit Recht gefeiert und hoch dekoriert.
Sahin und Türeci hatten das richtige Konzept. Sie forschen nämlich seit Gründung des Unternehmens in 2008 an einer Immuntherapie gegen Krebs. Und sie bewiesen großen unternehmerischen Mut, als sie das Unternehmen auf die Corona-Bekämpfung umsteuerten.
Aber wäre der märchenhafte Erfolg auch eingetreten, wenn die Pandemie nicht gekommen wäre oder wenn Biontech seinen Standort nicht in einem der 5 wichtigsten Pharmamärkte der Welt gehabt hätte. Wir wissen es nicht, aber es spricht vieles dafür, dass er zumindest nicht so schnell eingetreten wäre.
Malcolm Gladwell hat in seinem Buch „Überflieger“ die Ursachen des Erfolgs untersucht.
Seine erste Erkenntnis: wir erzählen und hören gern emotionale Heldengeschichten und übersehen dabei die Rahmenbedingungen des Erfolgs. Die zweite Erkenntnis: um bereit zu sein für die Lösung komplexer Aufgaben, sollte man etwa 10.000 Stunden „geübt“ haben.
Gladwell beschreibt u.a. den Werdegang von Bill Gates, um seine Thesen zu stützen: Gates hatte das Glück, die private Lakeside School in Seattle zu besuchen, die als eine der ersten überhaupt 1968 einen Fernschreiber anschaffte, mit dem die Schüler bei General Electric Computerzeit nutzen konnten. Zusammen mit seinem Schulfreund Paul Allen gründete Gates bereits mit 14 Jahren seine erste Firma, die Programmieraufträge abwickelte.
Als die Silicon-Valley-Revolution begann, hatte er über 10 000 Stunden Programmier-erfahrung und war mit 21 Jahren wie geschaffen für seine disruptive Innovation namens Windows. Seine Intelligenz, seine Neugier, sein Durchsetzungsvermögen, das alles waren wichtige Erfolgsvoraussetzungen, aber wäre Bill Gates 10 Jahre früher oder später in Malta oder Nepal zur Welt gekommen, wäre vermutlich jemand anders zum Software-Pionier geworden.
So aber war es Gates, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Konzept zum Inbegriff unternehmerischen Erfolgs wurde.
Was bedeutet das für die Gründer von heute?
Zunächst einmal heißt es, dass die Wahrscheinlichkeit des ganz großen Coups nahezu null, aber eben nicht ganz null ist, wie der Fall Sahin/Türeci beweist.
Erfolg als solcher ist nicht planbar, aber der Weg zu einer erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit ist es sehr wohl.
Vor einigen Jahren traf ich in Shenzhen einen deutschen Unternehmer, der Langstrecken-Drohnen entwickelte. Er erklärte mir, sein Startup nach China verlegt zu haben, weil Deutschland diesen Markt durch Regulierungen „abwürge“. Bei entsprechender Mobilität lässt sich also auch der „richtige Ort“ im Sinne höherer Erfolgswahrscheinlichkeit beeinflussen. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass nationale Kompetenzcluster Gründungen erleichtern können.
Bleibt das Thema der „richtigen Zeit“. Diese lässt sich sicherlich am wenigsten beeinflussen. Allerdings gibt es auch Entwicklungen soziokultureller Art, wo man bei genauer Verfolgung des gesellschaftlichen Diskurses ahnen kann, wann „die Zeit reif ist für etwas Neues“.
Entwicklungen zu beobachten ist die notwendige, sie aktiv zu beeinflussen die hinreichende Bedingung für Erfolg. Wer die gesellschaftliche Interpretationsebene ignoriert, verpasst den Zug oder wartet lange, vielleicht zu lange auf dessen Ankunft.